Studie: 38 Stunden ohne Schlaf

Messung der Gehirnströme // Quelle: DLR, CC-BY 3.0

Egal, ob auf der Straße, in der Luft oder im Weltall: Schlafmangel lässt unser Risiko, Fehler zu machen, rapide ansteigen. Im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt werden die Auswirkungen von Schlafmangel auf die menschliche Leistungsfähigkeit untersucht.

Bereits 2012 teilte der ADAC unter Berufung auf den renommierten Schlafforscher Dr. Roland Popp mit, dass 24 Stunden ohne Schlaf eine ähnliche Wirkung auf die Fahrleistung hätten wie 1,0 Promille Alkohol. Jeder vierte tödliche Unfall auf Autobahnen soll eine Folge von Sekundenschlaf sein. Trotz einer empfohlenen Schlafdauer von sieben bis neun Stunden, kommen knapp 70 Prozent der Deutschen durchschnittlich auf unter sieben Stunden pro Nacht. Aber während manche Menschen mit der kurzen Schlafzeit zurechtkommen, fällt bei anderen die Leistung unter Schlafmangel stark ab. Das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin hat nun begonnen, die menschliche Leistungsfähigkeit unter akutem und chronischem Schlafentzug zu untersuchen. Zum ersten Mal in einer Studie wird dabei auch der gemeinsame Einfluss von akutem und chronischem Schlafmangel auf die Rezeptordichte des Botenstoffs Adenosin untersucht. Zwei Drittel der Probanden haben bereits an der Studie teilgenommen, weitere acht folgen in den kommenden Wochen und Monaten.

Elf Tage im Schlaflabor

Um zu verlässlichen Ergebnissen zu kommen, dürfen die Probanden das Schlaflabor während des elftägigen Aufenthalts nicht verlassen.

Aufenthaltsraum der Probanden // Martha Peters

Stattdessen werden sie von den Wissenschaftlern bekocht oder sie spielen mit ihnen Monopoly. Anstelle des gewohnten Tageslichts sind alle Lichtquellen auf eine Helligkeit von 90 Lumen gedimmt – was mehr einer Dämmerung entspricht. Nur so sind die Ergebnisse mit anderen Studien vergleichbar. Mithilfe festgelegter Schlafzeiten und regelmäßigen Untersuchungen werden Leistungsunterschiede nach ausreichendem Schlaf, akutem und chronischem Schlafentzug gemessen. Dazu wird vor allem das Auge als Müdigkeitsindikator herangezogen. Parallel dazu müssen die Probanden Leistungstests absolvieren, die besonders auf das Reaktionsvermögen abzielen.

Die leitende Wissenschaftlerin Dr. Eva-Maria Elmenhorst erklärt einen Reaktionstest // DLR (CC-BY 3.0)

Eine Aufgabe besteht zum Beispiel darin, auf einen Knopf zu drücken, sobald eine beobachtete Uhr beginnt zu laufen. Während die eine Hälfte der Probanden innerhalb der elf Tage eine ausreichende Schlafdauer von acht Stunden pro Nacht genießen darf, wird der Schlaf für die andere Hälfte ab der dritten Nacht auf fünf Stunden reduziert. Nach einer achtstündigen Schlafpause werden bei beiden Gruppen die Folgen eines akuten Schlafmangels von 38 Stunden untersucht.

Adenosin – der Botenstoff für die Müdigkeit

Zusätzlich zu der Abhängigkeit zwischen Leistungsfähigkeit und Schlafentzug wird versucht, beides mit der Rezeptordichte des Botenstoffs Adenosin in Beziehung zu setzen. Adenosin ist für unser Müdigkeitsempfinden verantwortlich. Im Verlauf des Tages bindet der Botenstoff an die spezifischen Rezeptoren (Adenosin-Rezeptoren) an und lässt uns dadurch müde werden. Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ist es indirekt möglich, die Adenosin-Rezeptorendichte im Gehirn zu bestimmen. Nun wird untersucht, ob die Rezeptorendichte Aufschluss über die Leistungsfähigkeit eines Menschen unter Schlafentzug geben kann. Prof. Dr. Steffen Gais vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen meint: “Bei der Studie des DLR handelt es sich um eine sehr aufwändige Studie, die wie kaum eine Studie zuvor die Wirkungen von akutem Schlafmangel auf den Körper und die geistige Leistungsfähigkeit erforscht. Bisher ist nicht bekannt, ob die individuelle Anzahl an Adenosinrezeptoren im Gehirn unsere Müdigkeit beeinflussen kann. Wenn dies der Fall sein sollte, können sich daraus neue Möglichkeiten für die Behandlung von Einschlafproblemen ergeben und die Ursachen chronischer Müdigkeit besser verstanden werden.”

Medizinische Fachbegriffe
Polysomnographie: Vielfältige Überwachung des Körpers während des Schlafs

Elektroenzephalografie (EEG): Auf der Kopfhaut angebrachte Elektronen messen die elektrische Aktivität der Hirnrinde und überprüfen damit die Gehirnaktivität.

Pupillographie: Eine Brille mit integrierter Kamera vermisst die Pupillengröße des Probanden bei Dunkelheit. Ist man sehr müde, schwankt die Pupillengröße bei einer längeren Messung deutlich. Damit ergibt sich ein objektiver Müdigkeitsindikator, also ein Maß für die Müdigkeit einer Person, das nicht auf ihren subjektiven Empfindungen beruht.

Positronenemissionstomographie (PET): Schwach radioaktive Substanzen werden in die Blutbahn injiziert und nehmen dort den Platz eines bestimmten Bestandteils im Stoffkreislauf ein, z.B. des Adenosins. Die Substanzen können dann im Gegensatz zu dem eigentlichen Stoff sichtbar gemacht werden. So lässt sich beispielsweise die Adenosin-Rezeptorendichte bestimmen.

 

INTERVIEW

“Grundsätzlich schlafen wir in der heutigen Gesellschaft zu wenig”

Seit ihrem Studium der Neurobiologie an der RWTH Aachen ist Denise Lange als Doktorandin am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dort widmet sie sich in ihrer Dissertation dem Thema: “Regulation des Schlaf-Wach-Verhaltens unter chronischem und akutem Schlafentzug durch die Adenosin-Rezeptorendichte im Gehirn”.

Denise Lange // Quelle: Denise Lange

Technikjournal: Was erhoffen Sie sich von den Ergebnissen der Studie?

Denise Lange: Bis zu 75 Prozent der Unfälle im Verkehr und auch in der Luft- und Raumfahrt beruhen auf menschlichem Fehlverhalten. 20 Prozent davon sind auf Müdigkeit zurückzuführen. Wahrscheinlich ist die Zahl sogar noch höher. Wir versprechen uns von den Ergebnissen der Studie zum Beispiel, Empfehlungen für Schichtpläne geben zu können. Man weiß schon sehr viel über den akuten Schlafentzug. Über den chronischen Schlafentzug wissen wir noch nicht so viel. Den simulieren wir nun während der Studie.

Und die Ergebnisse sollen nicht nur den Menschen auf der Erde weiterhelfen?

Nein. Schlafmangel ist nicht nur bei uns ein Problem. Die Astronauten auf der ISS haben Zeit achteinhalb Stunden zu schlafen. Sie tun es effektiv aber nur zwischen sechs und sechseinhalb Stunden.

Warum ist das so?

Wir haben uns Jahrtausende lang daran gewöhnt, unter Schwerkraft auf der Erde zu schlafen. Die Astronauten müssen das auf einmal in der Schwerelosigkeit. Außerdem haben sie alle anderthalb Stunden einen Sonnenauf- und Untergang.

Weshalb müssen wir überhaupt schlafen?

Das ist auch die Frage, die wir uns stellen. Die Schlafmedizin ist eine recht neue Forschungsrichtung. Früher dachte man, Schlaf sei nur ein passiver Zustand. Das hat man mittlerweile revidiert. Schlaf hat viele Funktionen. Von Regeneration über das Aussortieren der täglichen Sinneseinflüsse zur Gedächtniskonsolidierung, also der Verfestigung von Kurzzeit- in Langzeitspeicherung.

Wie viel Schlaf braucht der Körper, um all das zu erledigen?

Das ist von Mensch zu Mensch anders. Grundsätzlich schlafen wir in der heutigen Gesellschaft zu wenig. Bei uns müssen die Probanden in der Vorbereitungswoche neun Stunden schlafen. Oft werden Fragen gestellt, wie: “Das schaffe ich gar nicht. Was soll ich machen, wenn ich früher aufwache?” Die Bedenken sind meist unbegründet. Wenn man die Zeit wirklich im Bett verbringen muss und dafür auch seine sozialen Interaktionen oder seine Arbeit einschränkt, schafft man es neun Stunden zu schlafen.

Wären neun Stunden wünschenswert für jeden von uns?

Nach der Rückmeldung unserer Probanden – ja. Sie sollen ausgeschlafen bei uns ankommen. Deswegen schlafen sie die Woche vor der Studie jede Nacht neun Stunden. Danach sind sie “schlafgesättigt”.

Ist es möglich, Schlaf “nachzuholen” oder “vorzuschlafen”?

Schlaf wird durch zwei Mechanismen reguliert. Das sind der homöostatische und der zirkadiane Prozess. Der homöostatische Prozess ist der Schlafdruck. Je länger ich wach bin, desto müder werde ich. Wenn ich dann schlafe, wird dieser Schlafdruck abgebaut. Das andere ist der zirkadiane Prozess. Er ist abhängig von der Tageszeit. Es gibt ein Tief in der Nacht zwischen zwei und drei Uhr und nochmal ein kleines Tief nach dem Mittagessen. Den Schlafdruck, der sich über den Tag bis dahin aufgebaut hat, kann man zum Beispiel auch mittags schon abbauen. Weil er sich aber wieder aufbaut, sobald ich wach bin, ist es nur bedingt möglich. Dabei spielen Faktoren eine Rolle wie: “In welcher zirkadianen Phase befinde ich mich gerade?” oder: “Wie lange war ich vorher wach?”

Kann man kurzfristig ohne negative Nebenwirkungen auf Schlaf verzichten, um zum Beispiel für eine Klausur zu lernen?

Einige Menschen kommen mit Schlafentzug sehr gut zurecht und es gibt Menschen, die damit gar nicht fertig werden. Wenn jemand müde ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass seine Leistung schlecht ist. Das ist davon abhängig, wie anfällig er gegenüber Müdigkeit ist. Wir stellen uns die Frage: Gibt es Biomarker, Frühwarnsysteme, um zu sagen: “Dieser Mensch wird gut damit zurechtkommen und der nicht.”?

Können Ermüdungsbiomarker in Zukunft wirklich eine Methode sein, festzustellen, ob es noch zu verantworten ist, dass jemand im Straßenverkehr unterwegs ist oder ein Flugzeug fliegt?

Ich denke, das wird mit unserer Studie noch nicht abgeschlossen sein. Aber wir wollen genau in diese Richtung gehen.

Warum kann man mit der Einnahme von Kaffee oder Aufputschmitteln der Müdigkeit entgegenwirken?

Adenosin ist ein Botenstoff im Gehirn, der an spezifische Rezeptoren bindet und das Signal vermittelt, dass wir müde sind. Koffein ist der Gegenspieler dazu. Dockt ebenfalls an den Rezeptoren an und blockiert das Signal. Dadurch haben wir das Gefühl, dass wir wacher sind.

Ist das nur ein Gefühl oder ist das tatsächlich so? Sind wir leistungsfähiger, wenn wir mehr Kaffee trinken?

Da wird es dieses Jahr die nächste Studie im DLR zu geben, in der wir den Einfluss von Koffein untersuchen werden.

Smartphone statt Schlaflabor?
Wie relevant das Thema Schlafstörungen ist, zeigt auch das stetig steigende Angebot an Apps, die der Schlaferfassung dienen sollen. Tatsächlich nutzen immer mehr Handybesitzer ihr Smartphone zur Schlafüberwachung. Allein die App „Sleep as Android“ kann mehr als zehn Millionen Downloads verbuchen. Mittels der handyinternen Sensoren (Bewegungsmesser, Kamera, Mikrofon etc.) soll das Handy das Schlafverhalten aufzeichnen und sogar dementsprechend reagieren: Statt einer bestimmten Uhrzeit wählt man einen Zeitrahmen, innerhalb dessen sich die App einen geeigneten Zeitpunkt aussucht. So soll verhindert werden, dass man durch den Wecker aus einer Tiefschlafphase gerissen wird. Medizinisch sind die Apps jedoch stark umstritten. Dr. Joachim T. Maurer, Leiter des schlafmedizinischen Zentrums der Universitäts-HNO-Klinik Mannheim, betont: “Niemand weiß, ob das, was die App vorgibt zu tun, auch tatsächlich funktioniert. Keine App ist als Medizinprodukt zugelassen und daher auch nicht entsprechend geprüft.” Auf der letzten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin im Dezember wurde jedoch festgehalten, dass Apps eine zunehmend wichtige Rolle in der Schlafmedizin spielen werden.

“Die Apps stellen mehr eine Spielerei dar”

Prof. Dr. Thomas Penzel, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité Berlin


Autorin: Martha Peters, Technikjournalismus, 3. Semester


Auch zu finden auf www.technikjournal.de


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