Mit Lichtgeschwindigkeit durch den Bonner Untergrund

Bis 1987 war das Synchrotron der Hauptbeschleuniger der Universität Bonn. // Martha Peters

Kleinste Teilchen werden in mitunter kilometerlangen unterirdischen Röhren fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um dann mit anderen Objekten zu kollidieren. Doch wie funktionieren Teilchenbeschleuniger? Was fasziniert Physiker daran und wozu der ganze Aufwand? Technikjournal war vor Ort an der Elektronen-Stretcher-Anlage (ELSA) in Bonn.

Technikjournal: Teilchenphysik ist eine hochkomplexe Angelegenheit, die viele Forscher fasziniert. Aber der Normalbürger hat davon erst einmal keinen Nutzen, oder etwa doch?

Dr. Sebastian Grab: Technische Anwendungen entstehen oft erst Jahrhunderte nach den eigentlichen Entdeckungen. Physikalische Erkenntnisse von Albert Einstein und Isaac Newton erleichtern uns heute unser Leben – meist ohne, dass wir das merken. Das GPS basiert beispielsweise auf Erkenntnissen der Relativitätstheorie. Ein Teilchenbeschleuniger ist ein technologisches Meisterwerk. Es steckt sehr viel Technik dahinter, die nur indirekt etwas mit dem Experiment zu tun hat. Die hochmoderne Kühlung der Röhre gehört zum Beispiel dazu. Manchmal entstehen dadurch “Abfallprodukte”, die sich anschließend als sehr sinnvoll herausstellen. Im Grunde ist das “World Wide Web” ein Abfallprodukt der Grundlagenforschung aus der Teilchenphysik.

Sind diese ganzen zufälligen Erfindungen Ihrer Meinung nach Rechtfertigung genug, jährlich mehrere Milliarden Euro an Forschungsgeldern auszugeben?

Allein das “World Wide Web” rechtfertigt schon so einiges an Forschung in der Zukunft. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es sich hierbei um internationale Projekte handelt, die über Jahrzehnte hinweg geplant werden. Da steckt auch eine ganze Menge an Völkerverständigung dahinter. Viele Länder der Welt arbeiten zusammen, um eine solch große Maschine zu bauen. Dazu gehört auch ein sehr hohes Maß an Toleranz, was auch ein ganz wichtiger Aspekt ist.

Ist Forschung also in gewisser Weise “Glückssache”?

Man muss immer zwischen der Forschung unterscheiden, wie sie Unternehmen betreiben und der Grundlagenforschung. Unternehmen verbessern meist in kleinen Schritten Dinge, die bereits existieren. Damit verdienen sie ihr Geld. Man könnte das eine “kontrollierte Forschung” nennen. Meiner Meinung nach ist Forschung aber etwas anderes: Nämlich Dinge zu erforschen, die man noch gar nicht kennt. Große Durchbrüche kommen immer unerwartet – deswegen halte ich es für wichtig, dass beide Seiten nicht zu kurz kommen. Nebenbei bemerkt, sind die aufgewendeten Mittel für die Teilchenphysik im Verhältnis zur industriellen Forschung verschwindend gering. Außerdem trägt die Forschung zur Ausbildung junger Menschen bei, die später in der Industrie landen und dort ihre Erkenntnisse anwenden. Spätestens an diesem Punkt hat auch der Normalbürger etwas davon.

Wie wird sich die Forschung in der Teilchenphysik ihrer Meinung nach in Zukunft verändern?

Es wird viel vom LHC am Cern abhängen – dem größten Teilchenbeschleuniger weltweit. Der LHC ist eine Entdeckungsmaschine. Wenn man damit etwas findet, wird man wohl auch einen neuen Beschleuniger bauen, der dann auf den Erkenntnissen des LHC basiert. Eine andere Möglichkeit wäre, die Leistung des bestehenden Beschleunigers zu erhöhen. Damit könnte man die Reaktionsrate steigern, was die Chance auf eine brisante Entdeckung erhöht. Auch die Analysetechniken kann man mit Sicherheit noch weiter verbessern.

Was könnte passieren, wenn der erhoffte Erfolg am CERN ausbleibt?

Dann wird man wahrscheinlich keinen neuen Beschleuniger bauen. Vielleicht bedeutet das für die Teilchenphysik dann auch, dass man wieder mehr in den Bereich der Astroteilchenphysik geht, beispielsweise die Erforschung der kosmischen Hintergrundstrahlung, die Verteilung der Materie im Universum oder ähnliches. Zu bedenken ist auf jeden Fall immer: Es ist Grundlagenforschung. Damit dringt man in unbekannte Regionen vor. Man hat verschiedene Szenarien und Pläne im Kopf. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass das Meiste einfach nicht vorhersehbar ist.

Das World Wide Web - Eine Erfindung des Cern

“Als ich Tims Vorschlag las, konnte ich mir nicht vorstellen, was das war, dachte aber, dass es großartig sein muss.”

(Mike Sendall, damaliger Abteilungsleiter von Tim Berners-Lee)

In der Forschung ist es nicht immer möglich, einen direkten Nutzen aus den Ergebnissen zu ziehen. Oftmals vergehen zwischen einem Forschungserfolg und der daraus entwickelten Erfindung auch mehrere Jahrzehnte. Als Heinrich Hertz 1887 beispielsweise experimentell Funkwellen nachgewiesen hatte, soll er gesagt haben: “Da sind diese geheimnisvollen Wellen, die zu nichts nütze sind.” Millionen Smartphone- und Computernutzer sehen das heute völlig anders. Auch bei der Kernforschung mit Teilchenbeschleunigern ist eine solche Neuentwicklung nicht ausgeblieben. Im Jahr 1989 wurde am Europäischen Kernforschungszentrum (CERN) in der Schweiz das Internet erfunden. Zu verdanken ist dies hauptsächlich dem britischen Physiker und Computerspezialisten Tim Berners-Lee. Da die Informationsfluten am CERN riesig sind und die im Netz abgelegten Informationen oftmals nur schwer wiedergefunden werden konnten, suchte Berners-Lee nach einem Weg, Inhalte in Anlehnung an das Vorgehen des menschlichen Gehirns zu strukturieren. Er nannte seine Erfindung das “World Wide Web”.

 

Keine Auskünfte über Kosten und Forschungsgelder

Grab steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Der Leiter der Arbeitsgruppe für experimentelle Teilchenphysik an der Universität Bonn, Professor Klaus Desch, hat in einem Interview mit der Onlinezeitschrift “alles-andre.de” Teilchenbeschleuniger einmal als kulturelles Luxusgut bezeichnet. Demnach seien die Forschungsschwerpunkte der Teilchenphysiker “Fragen, die die menschliche Neugier befriedigen und unser Weltbild beeinflussen können.” Er räumte auch ein, dass “die erhofften Erkenntnisse realistisch betrachtet keine unmittelbare technische Anwendung erlauben, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit.” Zu einem Interview stand er aus Zeitgründen allerdings nicht zur Verfügung. Gerne hätte Technikjournal ihn unter anderem nach der Größenordnung der jährlichen Ausgaben für ELSA befragt.

Zu exakten Zahlen über die Höhe der verwendeten Forschungsgelder hätte die Abteilung Finanzen der Universität Bonn Auskunft geben können. Hier lehnte man ein Interview allerdings strikt ab. In einer E-Mail hieß es unter anderem: “Wir tun uns aus verschiedenen Gründen ein wenig schwer, so offenherzig über finanzielle Ressourcen Auskunft zu geben.”


Autoren: Max Dittler & Martha Peters, Technikjournalismus/PR, 3. Semester


Auch zu finden auf www.technikjournal.de


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